Seit dem 21. Oktober 1998 ist Tanja Mühlinghaus verschwunden – nahezu spurlos. Nach Angaben
der Eltern verließ die Tochter samt ihrer Schulsachen das elterliche Reihenhaus Im Hölken, wollte
mit dem Bus zum Carl-Duisberg-Gymnasium fahren. Eine Latein-Arbeit stand an. Kurz zuvor hatte
Tanja noch von zu Hause aus bei der Mutter im Büro angerufen und gebeten, sie später von der Schule abzuholen.
Was zunächst wie der harmlose Ausreißversuch eines Teenagers aussah, wuchs sich zum wohl
spektakulärsten Vermisstenfall Deutschlands aus. Es gab hunderte von Zeugenhinweisen, zahllose
Berichte in Zeitungen und im Fernsehen. Alexander Kresta kennt alle Facetten des Falls. Damals, vor
zehn Jahren, führte er die Ermittlungen der Kripo: „Wir haben mit nahezu allen Leuten aus Tanjas Umfeld
gesprochen“, sagt Kresta, macht eine kurze Pause und fasst zusammen: „Nichts.“ Es kommt immer noch vor,
dass der gestandene Polizeibeamte nachts wach wird und alle möglichen Ermittlungsansätze durchgeht, aufsteht,
sich für den nächsten Morgen Notizen macht.
„Dieser Fall lässt mich nicht los.“
Alexander Kresta, Polizei Wuppertal
Da sind beispielsweise die beiden handgeschriebenen Briefe, die kurz nach Tanjas Verschwinden bei den
Eltern ankamen. „Es geht mir gut“, schreibt Tanja unter anderem, und dass es keinen Sinn habe, nach ihr
zu suchen. Sie werde nach ein paar Wochen zurückkehren. Aus den Wochen wurden zehn Jahre.
Es gibt nur eine Gewissheit: Laut LKA sind die Briefe „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ von
Tanja geschrieben und auch zu geklebt worden. Eine Erkenntnis, die kaum weiterhilft. Die Mutter sagt, dass der
Stil der Schreiben nicht zu ihrer Tochter passe. Wurde die 15-Jährige damals gezwungen, die Briefe zu verfassen?
Gibt es doch den großen Unbekannten, der das hübsche Mädchen ins Rotlicht-Milieu verschleppt hat? Entsprechende
Zeugenhinweise vor allem aus dem Raum Köln gab es immer mal wieder. Nichts war bisher dran.
Die Ungewissheit bleibt, aber auch die Hoffnung. Elisabeth Mühlinghaus nennt die unglaubliche Geschichte von
Natascha Kampusch, die von einem Entführer acht Jahre lang versteckt, vor zwei Jahren gefunden wurde. Der
Polizeibeamte Alexander Kresta nickt dazu: „Im Fall Tanja Mühlinghaus scheint alles möglich zu sein.“
Trotzdem: Die Folgen für die Eltern sind gravierend. Die Ehe ging über das Verschwinden der Tochter auseinander.
Gut drei Jahre lang beließen die Eltern das Zimmer ihrer Tochter, wie es die 15-Jährige heute vor zehn Jahren
zurückgelassen hatte – mit Plüschtieren auf dem Bett und Postern an der Wand.
„Macht euch keine zu großen Sorgen.“
Tanja Mühlinghaus in einem Brief, der kurz nach ihrem Verschwinden bei den Eltern ankam.
Jetzt hat jeder einen Teil von Tanja zu Hause. Der Vater unter anderem den Kleiderschrank und das Bett,
die Mutter hat Tanjas Setzkasten an ihre Wohnzimmerwand gehängt. Elisabeth Mühlinghaus hat gelernt, mit
dem Verschwinden zu leben. Sie sagt: „Ich akzeptiere und respektiere ihr Weggehen. Ich habe aufgehört zu
warten, aber ich habe immer noch das starke Gefühl, dass sie lebt.“
Die Ermittlungen dauern an. Sachdienliche Hinweise nimmt die Kripo unter der Rufnummer 2840 entgegen.