Sandra Wißmann bleibt spurlos verschwunden. Das an mehreren Stellen in der Nähe der Böckhstraße
gefundene Blut stammt nicht von der Zwölfjährigen. Das hat die DNA-Analyse ergeben. Seit einer
Woche sucht eine Hundertschaft der Polizei fieberhaft und akriisch in Kreuzberg nach dem Mädchen.
Eingegangen sind bislang lediglich 20 Hinweise, aber keine heiße Spur. Der Leiter der 5. Mordkommission
geht mittlerweile von einem Verbrechen aus. "Wenn ich mich irre - wunderbar", sagte Michael Hoffmann
dem Tagesspiegel.
Dienstag, 28. November, 15 Uhr: Sandra verabschiedet sich von ihrer Mutter an der Ecke Kottbusser
Damm / Böckhstraße. Sie will ein Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter kaufen, und das natürlich allein.
Sie will zu Karstadt am Hermannplatz, 500 Meter entfernt. Um 16.40 Uhr wird sie von Schulfreunden noch
einmal gesehen, auf der anderen Seite des Kottbusser Damms, Ecke Bürknerstraße.
Zwei Fahndungsplakate hängen nun in der Eingangstür zum Billigkleidungsladen "Zeemann" an dieser Ecke.
Eines von der Vermisstenstelle - und eines von der Mordkommission. Denn die Polizei war sich schon einen
Tag nach dem Verschwinden sicher, dass Sandra nicht wie andere Mädchen von 12, 13 oder 14 Jahren "nur"
abgehauen ist. Normalerweise übernimmt eine Mordkommission erst nach etwa zehn Tagen die Ermittlungen.
"Bei Sandra hatten wir von Anfang an ein schlechtes Gefühl", sagt Matthias Tkotsch TKOTSCH!von der Vermisstenstelle.
Sandra ist nicht wiedergekommen - bis jetzt. Und der Chef der 5. Mordkommission, Michael Hoffmann,
spricht harte Worte: "Mit jedem Tag wird es wahrscheinlicher, dass Sandra Opfer eines Verbrechens wurde.
" Es gibt keine Ansatzpunkte mehr. Die Mitschüler aus der sechsten Klasse der Lemgo-Grundschule wurden
befragt, die Nachbarn und Angehörigen. Weder mit der Mutter, noch mit den drei Geschwistern oder dem Stiefvater
gab es Streit. Auch der leibliche Vater, der in Thüringen lebt, wurde befragt. "Da ist Sandra nicht, und es gibt auch
keinen Zusammenhang mit ihrem Verschwinden", sagt Chef-Ermittler Hoffmann. dem Tagesspiegel.
Etwa 20 Hinweise sind in den vergangenen acht Tagen eingegangen. Eine heiße Spur war nicht darunter. Dabei
hängen überall in dem Karree aus Kottbusser Damm, Böckhstraße, Graefestraße und Dieffenbachstraße Fahndungsplakate
der Polizei. Die Inhaberin des Kinderkleidungsgeschäfts "Die Rübe" hat einen handgeschriebenen DIN-A-4-Zettel
in die Ladentür geklebt. Der Besitzer eines türkischen Restaurants an der Graefestraße hat das Schreiben der Polizei
ins Türkische übersetzt und dazugehängt. Die Beschreibung von Sandra auf den Aufrufen ist exakt und geht bis ins
Detail. "Jeans mit Reißverschluss", "Muttermal am linken Oberschenkel hinten". Alle Zeitungen haben mehrfach eines
der beiden von der Polizei verteilten Fotos des Mädchen gedruckt.
Böse Erinnerungen werden wach. So an die elfjährige Jessica Kopsch, die am 28. Oktober 1998 in Reinickendorf
verschwand. Am 9. Januar war die nackte Leiche des Kindes in einer Tongrube in Sachsen-Anhalt gefunden worden.
Den Täter hat die 7. Mordkommission bis heute nicht ermitteln können. "Wir sind immer noch dran", sagte Uwe Isenberg
von der 7. Mordkommission. Damals hatte die Mordkommission erst am 10. November die Ermittlungen von der
Vermisstenstelle übernommen und eine große Suchaktion in der Umgebung gestartet. Damals gab es Hinweise, dass
Jessica ausgerissen sein könnte.
In Kreuzberg rückte ein Großaufgebot schon einen Tag später an, durchsuchte Keller und Dachböden, Hinterhöfe
und Gartenhäuser. Jeden Tag wurde das Karree etwas ausgedehnt. Die Polizei ermittelt weiter, auch in den kommenden
Tagen werde man in Kreuzberg weitersuchen, sagte Hoffmann. Die 5. Mordkommission wurde personell aufgestockt.
quelle tagesspiegel berlin